Demokratie & Recht

Zur Sicherheitspolitik gehört mehr als die Bundeswehr

By 6. April 2022No Comments

Der schreckliche Angriffskrieg von Wladimir Putin auf die Ukraine ist eine Zäsur und stellt viele Gewissheiten der internationalen Gemeinschaft infrage. Unsere vollste Solidarität gilt der ukrainischen Gesellschaft. Wir erkennen die durch den Krieg in der Ukraine geschaffene neue Sicherheitslage an, wollen aber mit Bedacht darauf reagieren. Eine solche akute Krise erfordert schnelles Handeln, doch jetzt muss eine Debatte folgen.

Nur Geld fürs Militär?

Selbstverständlich muss die Bundeswehr zur Erfüllung ihrer Aufgaben adäquat ausgestattet sein. Eine übereilte Erhöhung der Militärausgaben sehen wir jedoch kritisch. Bevor weiteres Geld in die Bundeswehr investiert werden kann, müssen die Strukturen überprüft und die Ausgaben transparenter gestaltet werden, Vergabe- und Beschaffungsprozesse müssen evaluiert werden. In den letzten Jahren ist der Verteidigungsetat der Bundesrepublik auf bis zu 50 Milliarden im Jahr 2021 gestiegen, ohne dass die Bundeswehr eindeutige Erfolge bezüglich ihrer eigenen Effizienz oder der Effektivität im Einsatz verzeichnen konnte. Die Bundeswehr ist strukturell nicht darauf vorbereitet, verantwortungsvoll mit Geld umzugehen. Daher fordern wir einen umfangreichen, detaillierten und politischen Strukturwandel in der Bundeswehr, bevor das Geld in die Hände rechtsextremer Söldnergruppierungen fällt.

Europa ist dann am stärksten, wenn es geeint auftritt, das zeigt sich auch in der großen Solidarität mit der Ukraine und den harten Sanktionen, die von der EU gemeinsam auf den Weg gebracht wurden. Deswegen braucht es auch in der Sicherheitspolitik eine stärkere europäische Zusammenarbeit. Eine europäische Sicherheitspolitik muss menschenorientiert sein und der Stärkung von Demokratie und Menschenrechten dienen. Eine europäische Sicherheitspolitik darf nicht dazu dienen, wirtschaftliche Interessen der Europäischen Union im globalen Süden durchzusetzen und postkoloniale Strukturen zu festigen. Eine gleichberechtigte Zusammenarbeit muss der Grundpfeiler einer europäischen Wirtschafts- und Sicherheitspolitik sein. Der Einsatz militärischer Mittel sollte dabei stets vermieden werden.

Die Souveränität von Staaten wird nicht nur auf dem Schlachtfeld verteidigt, sie ist auch dort gefährdet, wo sich einzelne Staaten in die wirtschaftliche, politische, aber eben auch energetische Abhängigkeit anderer begeben. Deswegen braucht es eine massive Investition in die Unabhängigkeit der Energieversorgung Deutschlands von autoritären Regimen. Wir stehen bei der Entscheidung der Bundesregierung weit mehr als 2% in die Sicherheit unseres Staates zu investieren. Dabei muss aber klar definiert werden, dass diese Investitionen weit über die Bundeswehr hinaus gehen. Katastrophenschutz, Sozial- und Energiepolitik und eine menschenorientierte Außenpolitik sind Sicherheitspolitik, das ist für uns seit Jahrzehnten klar. Das sind Investitionen mit wirklichem Zukunftscharakter. Darauf berufen wir uns heute.

Vorausschauend Handeln

Die Zusatzausgaben zur Aufrüstung sollen an der Schuldenbremse vorbei imGrundgesetz verankert werden, damit dieses veraltete Konzept der GroßenKoalition erhalten bleiben kann. Wir müssen an das Grundkonstrukt derSchuldbremse ran und diese überwinden, um Deutschland für die Zukunft krisenfestzu machen. Daran führt kein Weg vorbei.

Im Koalitionsvertrag der Bundesebene wurde eine klare Erhöhung des Budgets fürhumanitäre Hilfe festgeschrieben. Das ist Hilfe, die ankommt. In Krisen kann manmit Waffengewalt kein neues Essen produzieren, man kann es nur jemandem anderenwegnehmen. Deswegen müssen wir, wenn wir unsere Solidaritätsbekundungen ernstmeinen, auch in die Infrastruktur zur Aufnahme, Versorgung und Teilhabe vongeflüchteten Ukrainer*innen und Menschen aus aller Welt investieren. Zudem wirdauch vor Ort in der Ukraine und in den Grenzregionen der Nachbarländer, indenen viele Menschen ankommen, schnelle humanitäre Hilfe benötigt.

Waffenlieferungen an die Ukraine

Prinzipiell lehnen wir Waffenlieferungen weiterhin ab. Waffen bringen keinen Frieden.

Die aktuelle Situation des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen die Ukraine stellt eine Ausnahme dar, in der die Lieferung von Waffen und Schutzausrüstung an die Ukraine im Sinne von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen demnach gerechtfertigt sind. Jedes Land hat das Recht auf Selbstverteidigung und auf die Wahrung seiner territorialen Souveränität. Zu dessen Umsetzung zählt für uns auch die humanitäre, diplomatische, aber auch militärische Unterstützung der Ukrainer*innen.

Die Debatte um das Selbstverständnis von Bündnis 90/ Die Grünen als pazifistischer Partei verdient weitaus mehr Raum, als es dieser Antrag leisten kann. Daher fordern wir den Landesvorstand von Bündnis 90/ Die Grünen Berlin auf, auf der nächsten Landesdelegiertenkonferenz und in anderen Formaten genug Raum für eben diese Debatte zu schaffen.

– Beschlossen am 20.03.2022 auf der digitalen Landesmitgliederversammlung