Soziales

Housing First ausbauen und langfristig finanzieren

 HOUSING FIRST AUSBAUEN UND LANGFRISTIG FINANZIEREN

Housing first ist ein Konzept, dessen Ziel es ist, langjährige Obdachlose in ein geregeltes Wohnverhältnis zu vermitteln. Bei üblichen Angeboten der Obdachlosenhilfe müssen Betroffene oft erst eine große Anzahl an Formularen abgeben und bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um eine eigene Wohnung finden zu können. Das ist bei Housing first anders. Bei Housing first wird zuerst der Wohnraum gesucht und erst danach der Fokus auf eine Begleitung durch Sozialarbeiter*innen gelegt. Dadurch wird zunächst ein sicherer Rückzugsort für die Betroffenen geschaffen und erst danach wird nach individuellen Lösungen gesucht für die vielfältigen Probleme oder Hürden, denen die Teilnehmer*innen an Housing first begegnen. Dafür gibt es freiwillige Angebote wie Suchttherapien oder flexible Hilfen. Die Angebote können von den Betroffenen solange und in dem Ausmaß genutzt werden, wie sie es wünschen. Betroffene können sich also auch dazu entscheiden, keine Angebote in Anspruch zu nehmen und können trotzdem ihre Wohnung behalten. Das die Unterbringung nicht an bestimmte Auflagen geknüpft ist, ist ein Grundprinzip des Projektes und soll helfen, Wohnverhältnisse langfristig zu festigen und erneuten Wohnungsverlust zu verhindern. Studien haben bewiesen, dass das Konzept langfristiger hilft, als vergleichbare Projekte. So wird durchschnittlich bei 8 von 10 Personen die Wohnungslosigkeit beendet.

In Berlin gibt es bereits mehrere Modellprojekte, die das Konzept Housing first anwenden. Die Kapazitäten dieser Projekte sind allerdings beschränkt, sodass die Wartelisten für die Plätze sehr lange sind und der Bedarf viel höher ist als das Angebot.

Deswegen fordern wir: 
– Einen schnellstmöglichen Ausbau der Housing first Plätze 
– Im Neubau von landeseigenen Wohnungsunternehmen soll eine verbindliche 2%-Housing-first-Quote etabliert werden, außerdem soll geprüft werden, inwiefern auch private Vermieter*innen in die Pflicht genommen werden können. 
– Das Angebot soll außerdem für Menschen ohne Sozialleistungsanspruch geöffnet werden. 
– Das bisherige „Modellprojekt“ Housing First für Frauen soll ebenfalls in ein langfristiges Projekt überführt werden, in den letzten zwei Jahren könnten 34 Frauen (Stand: 10.12.2020) erfolgreich in ein stabiles Wohnverhältnis mit eigenem Mietvertrag gebracht werden1. Seit Modellstart baten 255 Bewerber*innen um Aufnahme in das Projekt und 33 Frauen stehen noch auf der Warteliste (Stand: 31.08.2020)2. Es gilt die Kapazitäten auszubauen, um Frauen schneller einen Weg aus der Wohnungslosigkeit zu ermöglichen. 
– Schaffung gruppenspezifischer Housing First Angebote für inter*, nicht-binäre und trans* Personen, für queere Menschen, junge wohnungslosen Menschen, Jugendliche mit Gewalterfahrung, Menschen mit Migrationsgeschichte oder Fluchterfahrung, alte Menschen. Gerade queere Jugendliche sind besonders von Wohnungslosigkeit betroffen und erfahren in einer heteronormativen und binären Gesellschaft immer wieder Diskriminierung auch auf der Straße. So gilt es auch auf Menschen mit Migrationsgeschichte oder Fluchterfahrung einzugehen und mögliche Mehrfachdiskriminierungen in den Angeboten mitzudenken. Wir unterstützen die Forderung nach interdisziplinären Teams. Neben Sozialarbeiter*innen sollen auch Fachkräfte aus dem Gesundheitsbereich (Sucht, Psychiatrie, Krankenversorgung) eingebunden werden und die Zusammenarbeit mit Psycholog*innen & Psychotherapeut*innen soll intensiviert werden.

Um den Ausbau des Projektes zu schaffen, müssen, sowohl in den Bezirken, als auch in den Projekten selbst, mehr Ressourcen und Mitarbeiter*innen zur Verfügung stehen. Während in den Bezirken vor allem Mitarbeiter*innen fehlen, die für die Akquise von Wohnraum zuständig sind, braucht es in den Modellprojekten vor allem eine langfristige Finanzierungszusage und mehr finanzielle Mittel für Mitarbeiter*innen.

Durch eine bessere Finanzierung können zusätzlich neue Unterbringungsmöglichkeiten erarbeitet werden, die zum Beispiel auch Paaren, WGn oder Familien mit Kindern ermöglichen, durch Housing first eine Wohnung vermittelt zu bekommen. Housing First Projekte für Familien und Personen mit Kindern benötigen multifunktionale Teams, größere Wohnungen und Menschen mit Erfahrung aus der Kinder- und Jugendhilfe. Die Projekte sollen weiterhin nah am Original sein und auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, dem der direkten Unterstützung ohne Vorbedingungen oder Sanktionen und des grundsätzlich empowernden Ansatzes beruhen. Aktuell ist das Konzept nur an alleinstehende Personen gerichtet.

Um die Bekanntheit von Housing first zu stärken, sollen die Bezirke Öffentlichkeitsarbeit für das Konzept machen und auch verschiedene Träger*innen der Obdachlosenhilfe untereinander vernetzen. Diese Zusammenarbeit soll auch dazu führen, die Hürden zur Teilnahme an dem Projekt zu Senken und Informationen und Unterstützung so zugänglich wie möglich zu gestalten.

Quelle 1: Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Berlin. (abgerufen am 15.07.2021) https://skf-berlin.de/offene-sozialarbeit/wohnungslose-frauen/housing-first-fuer-frauen/ 
Quelle 2: Evaluation des Modellprojekts „Housing First für Frauen Berlin“. 2. Evalutaions-Zwischenbericht (Berichtszeitraum: 01.09.19- 31.08.2020). Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Berlin.https://skf-berlin.de/wp-content/uploads/2020/09/Gerull_Zwischenbericht_HF_SkF_2020_2.pdf