Antidiskriminierung

DISKRIMINIERUNGSSCHUTZ STÄRKEN – ANTIDISKRIMINIERUNGSRECHT ANPASSEN!

By 14. Juli 2022No Comments

Diskriminierung ist für viele Menschen in Deutschland heutzutage immer noch Alltag, beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche, im Bildungsbereich oder im Gesundheitswesen. Diskriminierendes Denken und Verhalten verletzt und nimmt Menschen Chancen, ihr Leben so frei zu gestalten, wie es im Rahmen der gesetzlichen Normen möglich wäre. Gegen eine solche Diskriminierung müssen wirksame rechtliche Mittel zur Verfügung stehen. Die Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) 2006 war ein Schritt in die richtige Richtung, um gegen Diskriminierung vorzugehen und dieser vorzubeugen. Das Gesetz weist jedoch noch Schutzlücken auf. Es muss es an vielen Stellen verändert werden, um einen effektiveren Schutz vor Diskriminierung zu bieten.

Die vier im Folgenden genannten Forderungen sind nicht als abschließend zu verstehen, vielmehr sollen sie als erste zu schließende Lücken für einen effektiveren Schutz des AGG besonders hervorgehoben werden.

Als GRÜNE JUGEND Berlin setzen wir uns dafür ein, dass ein Verbandsklagerechts für qualifizierte Verbände in das AGG eingefügt wird. Damit soll vor allem der strukturellen Diskriminierung entgegengewirkt und durch die Möglichkeit der Prozessstandschaft ein effektiver und umfassender Rechtsschutz für Menschen, die diskriminiert wurden, geschaffen werden.

Bisher sieht das AGG lediglich ein Beistandsrecht für Verbände vor. Dies reicht bei weitem nicht aus. Mit einem Verbandsklagerecht können sich Fachexpert*innen gegen strukturelle Diskriminierungen wenden. Die Verbandsklage gibt den Verbänden die Möglichkeit, Rechte der Allgemeinheit durchzusetzen. Dies führt zu einem kollektiven Rechtsschutz und damit einer Stärkung des Diskriminierungsschutzes.

Erfolgreiche Beispiele für die Einführung eines Verbandsklagerecht gibt es bereits unter anderem im Umweltrecht, Verbraucherschutz, aber auch im Berliner Landesdiskriminierungsrecht.

Auch eine Prozessstandschaft für Verbände muss dabei möglich sein. Mit einer Prozessstandschaft besteht die Möglichkeit, fremdes Recht – also das der Menschen, die diskriminiert wurden – im eigenen Namen – also im Namen der Verbände – geltend zu machen. Damit würde der Zugang zum Rechtsschutz ausgeweitet. Gerade wenn es um Abhängigkeitsverhältnisse geht, ist ein solches Recht notwendig, um Menschen, die diskriminiert wurden, zu schützen und ihre Rechte durchzusetzen.

Evaluierungen haben gezeigt, dass es kaum gerichtliche Verfahren mit Bezug auf das AGG gibt und damit der Wirkungsgrad des Gesetzes sehr gering ist. Dies liegt auch an den hohen Hürden beim Diskriminierungsschutz sowie den erforderlichen Ressourcen Einzelner. Eine Rechtsdurchsetzung ist damit, trotz Bestehen der Rechte nicht gewährleistet. Eine Klagerecht und die Prozessstandschaft für Verbände setzt an dieser Lücke an.

Der Sorge um Missbrauch oder Überforderung der Gerichte kann damit entgegengewirkt werden, dass lediglich qualifizierte Verbände ein Verbandsklagerecht bekommen. Diese müssen sich vorher anerkennen lassen, wie es auch das Berliner Landesdiskriminierungsrecht erfolgreich regelt.

Wir als GRÜNE JUGEND Berlin setzen uns zudem für die Einschränkung der sogenannten „Kirchenklausel“ im § 9 AGG ein. Diese sieht Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot für Religionsgemeinschaften hinsichtlich der Kriterien Religion und Weltanschauung vor. Diese Sonderstellung der Religionsgemeinschaften sollte aber nur für die Tätigkeiten gelten, die 

inhaltlich die Ausübung der Religion selbst sind. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Tätigkeiten, die in religiösen Einrichtungen ausgeübt werden, aber gerade keine Religionsausübung darstellen, nicht unter die Ausnahme des § 9 AGG fallen sollten.

Problematisch an der „Kirchenklausel“ ist die dort erlaubte Diskriminierung aufgrund des religiösen Status der Institutionen. Rein faktisch geht es dabei vor allem um eine Ausnahme für kirchliche Einrichtungen. Diese werden gleichzeitig auch noch größtenteils mit staatlichen Geldern finanziert, haben damit also einerseits finanzielle Ressourcen des Staates zur Verfügung, müssen sich dabei aber andererseits nicht dem AGG entsprechend verhalten.

Erschwerend kommt hinzu, dass es sich in der Regel um mehrdimensionale Diskriminierung handelt, also die Diskriminierung aufgrund mehr als nur einem Merkmal, in diesem Fall insb. geschlechterspezifische und rassistische Diskriminierungen.

Der Schutz von Religion und Religionsgemeinschaften in Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 Grundgesetz sieht keinen endlosen Schutz der Religionsgemeinschaften vor. Die Kirchen haben zwar ein Selbstbestimmungsrecht, also das Recht ihre eigenen Angelegenheiten selbstbestimmt und ohne Einflussnahme des Staates zu regeln. Dieses kollidiert aber mit den gleichzeitig bestehenden individuellen Grundrechten von Menschen, die diskriminiert werden.

Dem Staat kommt dahingehend eine Schutzpflicht zu, welche er gegenüber den Betroffenen ausüben muss, indem er einen Diskriminierungsschutz und damit einen Schutz der Grundrechte der Betroffenen schafft. Diese Schutzpflicht muss er vollständig umsetzen und auch vor Diskriminierung von Seiten religiöser Institutionen schützen.

Die GRÜNE JUGEND Berlin setzt sich dafür ein, dass der Anwendungsbereich des AGG sich insgesamt auf öffentlich-rechtliches Handelns erstreckt. Es muss umfassend insbesondere auch für diskriminierendes Verhalten der öffentlichen Gewalt beispielsweise Polizei, Behörden und Gerichte gegenüber Bürger*innen gelten.

Derzeit besteht das Diskriminierungsverbot für öffentlich-rechtliches Handeln nach dem AGG nur für die Bereiche der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste nach § 2 Nr. 5 AGG, der Bildung nach § 2 Nr. 6 AGG sowie gem. § 24 AGG für Dienstverhältnisse von Beamt*innen, Richter*innen, Zivildienstleistende und Kriegsdienstverweiger*innen.

Im Übrigen ist die öffentliche Gewalt nur an die Vorgaben des Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz gebunden. Danach besteht ein Verbot der Ungleichbehandlung von Menschen nach den dort aufgeführten Merkmalen. Ein Vorgehen aufgrund dieser Norm ist jedoch an hohe Hürden gebunden und sieht nicht die gleichen Rechtsfolgen wie das AGG vor. Zwar gibt es auch auf Landesebene im Berliner Antidiskriminierungsgesetz Diskriminierungsverbote. Damit das AGG ein wirksameres Mittel gegen Diskriminierung wird, darf ein Verbot von Diskriminierungen durch die öffentliche Gewalt aber nicht der gesetzgebenden Gewalt der Länder überlassen werden.

Außerdem setzt wir uns als GRÜNE JUGEND Berlin dafür ein, dass die Fristen des AGG für die Geltendmachung der dort garantierten Rechte verlängert werden. Die Frist für die Geltendmachung eines Schadensersatz- und Entschädigungsanspruchs im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses beträgt gem. § 15 Abs. 4 S. 1 AGG zwei Monate. Auch Ansprüche auf Unterlassen, Schadensersatz und Entschädigung im Zivilrechtsverkehr müssen gem. § 21 Abs. 5 S. 1 AGG grundsätzlich innerhalb von zwei Monaten geltend gemacht werden. Die derzeit bestehenden Fristen stellen eine enorme Hürde für die Durchsetzung eines effektiven Rechtsschutzes und damit der Rechte, die Betroffene nach dem AGG haben, dar.

Bei der Mobilisierung von Recht besteht eine Vielzahl von Barrieren, die auch der Durchsetzbarkeit der Rechte aus dem AGG entgegenstehen. Diese wirken verstärkt, wenn Recht in kurzen Zeiträumen gelten gemacht werden muss. Oft wissen Menschen nicht, welche Rechte und konkreten Ansprüche sie als von Diskriminierung Betroffene haben. Es braucht Zeit und Kraft, sich zu informieren und entsprechende Beratungsstellen aufzusuchen. Außerdem stehen der Durchsetzung von Rechten oftmals eingeschränkte finanzielle Möglichkeiten oder Sicherheiten entgegen.

Mobilisierung von Recht wirkt zudem eskalierend, was gerade in Abhängigkeitsverhältnissen wie in Arbeitsverhältnissen mit negativen Auswirkungen auf den Berufsalltag einhergehen kann. Mit all diesen Problemen müssen sich Menschen, die diskriminiert wurden, neben der Verarbeitung der Verletzung, die sie erlitten haben, innerhalb von nur zwei Monaten auseinandersetzen. Dies ist nicht nur menschlich unangemessen, sondern verhindert eine effektive Durchsetzung der Rechte aus dem AGG.