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Beschluss | Innenpolitik neu denken – Für eine starke Zivilgesellschaft und freie Entfaltung statt immer neuer und härterer Repressionen

By 1. Februar 2016Juli 9th, 2016No Comments
beschlossen auf der 1. außerordentlichen Landesmitgliederversammlung am 30. Januar 2016

Die Berliner Innenpolitik ist genauso wie die auf Bundesebene seit Jahrzehnten von Law and Order-Hardlinern der CDU und auch der SPD dominiert. Auf Probleme jeglicher Art wird stets mit “härteren Gesetzen” reagiert, die Polizei soll möglichst große Befugnisse haben, Demonstrant*innen werden kriminalisiert, Geheimdienste agieren fern jeglicher Kontrolle.

Doch zu einer solchen Innenpolitik gibt es Alternativen! Die Grüne Jugend Berlin hat sich im vergangenen halben Jahr intensiv mit innenpolitischen Themen auseinandergesetzt und möchten mit diesem Antrag aufzeigen, wie alternative (jung)grüne Konzepte aussehen können.

Strukturellen Rassismus in Polizeiarbeit und Strafrecht bekämpfen

Während Rechte hetzen und die Gesellschaft über eine “Flüchtlingskrise” diskutiert, verstärkt sich die Diskriminierung gegen Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Debatten über strukturellen Rassismus werden nicht mehr geführt, der gesellschaftliche Tenor scheint klar: Es wird eine unmittelbare Verknüpfung von Race und Straftat hergestellt.

Rassistische Vorurteile sind im gesellschaftlichen Mainstream verankert und treffen auch in der Polizeikultur auf breite Zustimmung. Auch bei der Polizei wird die Verknüpfung von Race und Straftat nicht in Frage gestellt und diskriminierende polizeiliche Maßnahmen werden als gerechtfertigt angesehen.

Debatten über einen Bonus aufgrund der Herkunft bei der Behandlung durch Polizei und Rechtssystem sind daher irreführend, es besteht vielmehr ein Malus – und großer Handlungsbedarf!

Polizeikontrollen aufgrund unveränderlicher äußerlicher Merkmale liegt ein Pauschalverdacht zu Grunde, sie sind Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und eine diskriminierende Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes aus Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz.

Trotzdem ist Racial Profiling ein fester Bestandteil polizeilicher Praxis. Bei Kontrollen auf Drogendelikte, in Gefahrengebieten, aber auch bei Zugkontrollen ist das Erscheinungsbild häufig ausschlaggebend dafür, ob eine Kontrolle durch die Polizei stattfindet oder nicht. Wir als Grüne Jugend Berlin wollen dieser diskriminierenden Praxis entgegentreten und fordern deshalb folgende Maßnahmen um ihr entgegenzuwirken:

Problembewusstsein schon in der (Polizei-)Ausbildung schaffen

In der Polizei fehlt es an grundlegender Sensibilisierungsarbeit. Fehlendes Bewusstsein sowohl für den gesamtgesellschaftlichen als auch den polizeispezifischen Rassismus stellt seit eh und je eines der großen Probleme dar und muss bereits in der Ausbildung angegangen werden. Die Verankerung des grund- und menschenrechtlichen Diskriminierungsverbotes und damit verknüpft die stärkere Vermittlung von menschen- und grundrechtlichem Wissen und dessen Kontextualisierung in der Polizeiarbeit muss eine zentrale Rolle spielen. Einsatzpläne und -strategien von Polizeibehörden müssen auf diskriminierende Maßnahmen hin untersucht und überarbeitet werden.

Auch Beamt*innen, die ihre Ausbildung abgeschlossen haben und bei denen ein Wandel in der Ausbildung keinerlei Auswirkungen mehr hätte, müssen in Bezug auf Grundrechte und Antidiskriminierungsgesetze weitergebildet werden.

Racial Profiling die Rechtsgrundlagen entziehen

Doch eine Sensibilisierung der Polizist*innen allein reicht uns nicht!. Vielmehr müssen auch die Rechtsgrundlagen, die eine diskriminierende Praxis befördern, aus dem Recht zu entfernt werden. Für Berlin heißt das, dass der Polizei endlich die Möglichkeit genommen werden muss “Gefahrengebiete” festzulegen in denen sie anlasslos Personenkontrollen durchführen kann. Vielmehr muss gelten: Personenkontrollen muss ein konkreter Verdacht vorangehen.

Das gilt im Land Berlin sowie auch bundesweit im Grenzbereich: Daher begrüßen wir, dass in anderen Bundesländern Verwaltungsgerichtsbeschlüsse schon die Rechtsgrundlage für anlasslose Identitätsfeststellungen im Grenzbereich infrage stellen.

Zudem sollte sich das Land Berlin mit einer Bundesratsinitiative dafür einsetzen, dass der Straftatbestand der “illegalen Einreise” aus dem Strafrecht gestrichen wird. Ein Großteil der Anzeigen wegen “illegaler Einreise” wird gegen Menschen gestellt, die nach Deutschland geflüchtet sind und hier einen Asylantrag stellen. Die Genfer Flüchtlingskonvention verbietet es jedoch, Geflüchtete wegen “illegaler Einreise” zu belangen. So werden tausende Strafverfahren eingeleitet, mehrere Arbeitsstunden und Steuergelder verschwendet, tausende Strafverfahren wieder eingestellt. Die Kriminalisierung der Geflüchteten bleibt jedoch im Raum stehen.

Verfassungsschutz auflösen!

Nicht erst seit der angeblich auf rechts links Schwäche zurückzuführende Vernichtung potenziell wichtiger NSU Akten im Landesverfassungsschutz müssen wir immer wieder feststellen, dass der Landesverfassungsschutz seine Arbeit alles andere als gut erledigt. Statt seinen Aufgaben nachzukommen und potenzielle Gefahren auszumachen, bezahlt er Nazis für angebliche Informationen. Aufklärung schafft dies allerdings nicht und an eine Kooperation mit anderen Geheimdiensten um die Arbeitsfähigkeit zu Stärken wird scheinbar gar nicht gedacht.
Wir fordern die verkrusteten Strukturen und nicht funktionierenden Arbeitsweisen endgültig zu beseitigen und den Landesverfassungsschutz mit all seinen V-Menschen abzuschaffen. Außerdem muss der Berliner Staatsschutz einer noch stärkeren Parlamentarischen und öffentlichen Kontrolle unterzogen werden und die Arbeit deutlich transparenter gestaltet werden. Auch hier legen wir das Konzept V-Menschen ab.

Ein Versammlungsfreiheitsgesetz für Berlin!

Seit der letzten Föderalismusreform haben die Bundesländer die Möglichkeit, eigene Landesversammlungsgesetze zu verabschieden. Wir als Grüne Jugend Berlin möchten, dass das Land Berlin von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Ein solches Versammlungsgesetz kann jedoch nicht im Hauruckverfahren durch das Parlament gepeitscht werden. Es braucht Anhörungen der Expertise aus anderen Ländern, eine sinnvolle parlamentarische Arbeit und Kontrolle hierzu.
Wir meine: Das Bundesversammlungsgesetz enthält derzeit zum einen viele Regelungen, die fahrlässig Demonstrant*innen kriminalisieren, aber es fehlen auch viele Regelungen, die für eine nachvollziehbare Arbeit der Polizei und ein vertrauensvolles Zusammenwirken dieser mit Demonstrant*innen wichtig wären.

Polizeiliches Handeln kontrollieren, Alltagsgegenstände und Vermummung entkriminalisieren

So sollte z.B. die für Polizist*innen des Landes Berlin geltende Kennzeichnungspflicht auf alle sich auf dem Territorium des Landes Berlin im Einsatz befindlichen Polizist*innen ausgeweitet werden. Diese Regelung gehört in ein Versammlungsgesetz und nicht nur in eine Dienstanordnung des*der Innensenators*Innensenatorin.
Wir möchten, dass jeder Waffengebrauch von Polizist*innen im Rahmen eines Einsatzes auf einer Versammlung nach dem Einsatz schriftlich dokumentiert und explizit begründet wird. So würde der Waffengebrauch auf Versammlungen nachvollziehbarer, es ließen sich endlich nachvollziehbar Statistiken über den polizeilichen Waffengebrauch auf Versammlungen führen und jede*r Beamt*in würde in Bezug auf den Waffengebrauch auf Versammlungen sensibilisiert.

Das Vermummungsverbot für Demonstrierende soll abgeschafft werden. Der Schutz von Demonstrationsteilnehmer*innen vor Aufnahmen z.B. durch Anti-Antifa Fotograf*innen darf nicht verboten werden! Das massive Vorgehen von Polizeiseite gegen Vermummung führt außerdem oftmals zu einer völlig unnötigen Eskalation auf Demonstrationen.
Ebenso ist der Straftatbestand der sogenannten “passiven Bewaffnung” zu streichen. Dieser kriminalisiert das Mitführen von Alltagsgegenständen auf Demonstrationen.
Die Grüne Jugend Berlin setzt auf die stärkere Kooperation von Polizei und Versammlung. Die Polizei hat die wichtige Aufgabe, die Freiheit der Versammlung zu schützen und ihre friedliche Durchführung zu ermöglichen. Wir wollen daher, dass die Polizei dazu verpflichtet wird, den Versammlungsleiter*innen Kooperationsgespräche anzubieten.
Bei konfliktträchtigen Demonstrationen muss die Polizei Konfliktmanager*innen einsetzen, die zwischen Demonstrationsteilnehmer*innen und Polizei vermitteln. Außerdem soll jede*r Polizist*in in regelmäßigen Abständen verpflichtende Schulungen und Fortbildungen zu alternativen und deeskalierenden Polizeimaßnahmen und Einsatzformen bekommen.
Bildaufnahmen auf Demonstrationen sind auf das absolut nötige Maß zu reduzieren, sind ausschließlich auf Übersichtsaufnahmen zu beschränken, sind eindeutig sichtbar vorzunehmen und die Demonstrationsteilnehmer*innen müssen im Vorfeld einer Demonstration über diese Aufnahmen informiert werden. Bildaufzeichnungen sind nicht zulässig.

Wir möchten mit diesem Regelungsvorschlägen für ein Landesversammlungsgesetz auf der einen Seite Wege aufzeigen, wie unnötige Eskalation und Kriminalisierung von Demonstrant*innen vermieden werden kann, aber auch die Arbeit der Polizei nachvollziehbarer machen.

Für eine Kehrtwende in der Drogenpolitik – Konsumenten entkriminalisieren, Drogenmündigkeit fördern, Gesundheitsrisiken bekämpfen

Die Drogenpolitik von CDU und SPD ist gescheitert.
Sie ignoriert die Tatsache, dass es immer Menschen geben wird, die psychoaktive Substanzen gebrauchen und sich diese Freiheit nicht nehmen lassen. Die Globalisierung des Drogenmarktes in den letzten Jahrzehnten, ungebrochen hohe Nachfragen nach legalen und illegalisierten Rauschmittel in allen Teilen der Gesellschaft und die fortwährende Entwicklung neuer Drogen untermauern diese These. Diese Entwicklung fand statt trotz der Anwendung teils brutaler Repressionsmaßnahmen, der Inhaftierung friedlicher Bürger*innen und der Unterwanderung von Grundrechten im Namen einer drogenfreien Gesellschaft.

In diesem Kontext erscheint die Einführung sogenannter “Null-Toleranz-Zonen” im Görlitzer Park von Innensenator Henkel nicht nur innovationslos, teuer und kontraproduktiv, sie stellt auch eine Rückkehr zur Irrationalität und Symbolpolitik dar. Die Grüne Jugend Berlin bekennt sich zur Entkriminalisierung von Drogengebraucher*innen und lehnt daher eine Aufweichung der derzeitigen “geringe Menge”-Regelung ab.

Durch die repressive Drogenpolitik werden Konsument*innen in die Kriminalität gedrängt und bewusst unnötigen Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Die Grüne Jugend Berlin fordert daher langfristig die regulierte Abgabe aller heute illegalisierten Drogen, vorzugsweise in Drogenfachgeschäften.

Um den Folgeerscheinungen der derzeitigen Drogenpolitik entgegenzutreten, wie z.B. den Gebrauch von verunreinigten und nicht ausreichend identifizierten Genussmitteln z.T. mit Todesfolge, fordern wir, dass in Berlin endlich ein Drugchecking-Programm finanziert und implementiert wird. Dies soll den mündigen Umgang mit psychoaktiven Substanzen fördern indem Konsument*innen ihre Drogen überprüfen lassen und ein Konsumbewusstsein entwickeln. Eine anonyme Datenerfassung in diesem Rahmen ermöglicht auch eine bessere Beobachtung des illegalisierten Drogenmarktes.

Das Angebot von Drogenkonsumräumen muss in Berlin endlich ausgebaut werden, um bei Komplikationen eingreifen zu können und einen Anlaufpunkt auf Augenhöhe anzubieten, in dem auch Sozialarbeiter*innen Unterstützung anbieten können.

Außerdem muss die Möglichkeit staatlich organisierter Abgabeprogramme weiter geprüft und vorangetrieben werden. Coffeeshops in mehreren Bezirken, sowie eine “Cannabisagentur” angesiedelt beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte sind gute Anfänge, gehen aber noch nicht weit genug.

Die Grüne Jugend Berlin fordert, dass Menschen ihre Rauschmittel frei, mündig und ohne Androhung staatlicher Gewalt wählen können. Menschen mit problematischen Konsumverhalten sollten unterstützt und nicht unterdrückt werden.
Mit der Kriminalisierung von Konsument*innen muss Schluss sein, hier bedarf es einer Bundesratsinitiative, um den Repressionen und der Verschwendung von Steuermitteln durch sinnlose Verfolgung durch Polizei und Justiz ein Ende zu bereiten. Die freigewordenen Mittel können anschließend in Präventions- und Gesundheitsschutzprogramme investiert werden.

Haus des Jugendrechts für Berlin

In Berlin wird seit einigen Jahren das sog. “Neuköllner Modell” berlinweit angewendet. Dabei geht es prioritär darum, Jugendliche und Heranwachsende schnell und streng zu bestrafen.
Dieses Modell ist aber aus unserer Sicht der falsche Weg. Benötigt wird eine bessere Zusammenarbeit zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und Gerichten. Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen, dass dies in sogenannten “Häusern des Jugendrechts” gut gelingen kann. Dort sind zuständige Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendgerichtshilfe gemeinsam in einem Gebäude untergebracht. Das führte bei den bisherigen Modellprojekten zu einer deutlichen Beschleunigung der Verfahren. Es boten sich aber auch noch andere Vorteile:Bestanden bislang kaum Kontakte zwischen Polizei und Jugendgerichtshilfe, so wird letztere jetzt umgehend und unmittelbar durch die Polizei verständigt. Dadurch kann die Jugendgerichtshilfe zeitnah tätig werden und die notwendigen Jugendhilfeleistungen initiieren, anbieten und durchführen.
Das zeitliche Nacheinander der polizeilichen und der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit wird aufgebrochen. Die Staatsanwaltschaft ist bei ihrer Entscheidung über Verfahrenseinstellungen nicht mehr auf die Polizeiakten angewiesen, sondern stellt von Anfang an eigene ‘Ermittlungen’ an und bildet sich insbesondere ein eigenes Urteil über die Täter*innen. Die Interpretationsdominanz der Polizei geht damit verloren, ihre Position wird strukturell geschwächt.

Wahlrecht und Mitbestimmung für alle!

Für die GRÜNE JUGEND Berlin besteht Demokratie nicht nur darin, alle paar Jahre wählen zu gehen. Eine Demokratie lebt von den Menschen, die sich an ihr beteiligen. Deshalb müssen demokratische Beteiligungsmöglichkeiten in allen Lebensbereichen verwirklicht und durch politische Bildungs- und Aufklärungsarbeit begleitet werden. Gleichzeitig brauchen wir geschulte Ansprechpartner*innen, die Menschen bei ihren Beteiligungsvorhaben begleiten und für Fragen zur Verfügung stehen. Nur so ist ein demokratisches Berlin auf Augenhöhe möglich!

Gerade bei Wahlen werden große Teile der Menschen ausgeschlossen – zu jung und zu ausländisch, das ist die Begründung. Wahlen und Abstimmungen betreffen jedoch alle Menschen die hier leben, unabhängig davon ob sie schon 18 sind oder die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Gerade der Volksentscheid zum Tempelhofer Feld hat dieses Problem noch einmal in aller Deutlichkeit aufgezeigt. Deshalb fordert die GRÜNE JUGEND Berlin sowohl ein Wahlrecht von der Geburt an, als auch ein Wahlrecht für Menschen ohne deutschen Pass die in Berlin leben. Die Entscheidungen der Politik betreffen alle hier lebenden Menschen, sie müssen deshalb auch beteiligt werden. Als ersten Schritt setzen wir uns dafür ein, dass 16jährige bei der nächsten Wahl auch auf Landesebene wählen dürfen.

Zudem fordern wir, dass bei Abstimmungen wie Volksentscheiden und auch den Vorstufen, alle Berliner*innen mitentscheiden dürfen.