Mieten & Stadtentwicklung

RAW BLEIBT RAW

By 14. Juli 2022No Comments

Die Göttinger Kurth Gruppe plant auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Reichsbahn-Ausbesserungs-Werks (RAW) einen Bürokomplex – darunter ein Hochhaus mit rund 100 Metern Höhe – zu bauen. Die GRÜNE JUGEND Berlin lehnt die gentrifizierenden Bauvorhaben ab.

Diversität und Freiräume statt steriles Investmentprojekt!

Das RAW-Gelände ist die letzte große Industrie-Brachfläche in der Berliner Innenstadt und beherbergt unzählige Clubs, Eventlocations, Bars, Sportstätten und Orte der Zusammenkunft. Eine Bebauung des RAW-Geländes mit Gewerbeflächen, die nicht divers und offen zugänglich sind und mit Gewinnabsicht handeln, zerstören den einmaligen Charakter des RAW-Geländes und treibt auch die Preise im umliegenden Kiez in die Höhe. Ein Quadratmeter des RAW Geländes hat beispielsweise 2015 nur 500 Euro gekostet, der Bodenrichtwert liegt heute aber schon bei 5.500 Euro/m². Die Bauvorhaben werden den Bodenrichtwert noch weiter ansteigen lassen. Eine Bebauung des RAW Geländes würde somit nicht nur das RAW-Gelände in seiner heutigen Form als soziokulturellen Ort zerstören, sondern auch die anwohnenden Menschen steigenden Mieten aussetzen, die zu Verdrängungen führen.

Eine gewinnmaximierende „Aufwertung“ des Geländes zielt zudem in einer kapitalistischen Logik darauf ab, noch mehr Rendite abzuwerfen. Dabei wird verkannt, dass der wahre Wert des RAW-Geländes in seiner Diversität und in seinen Freiräumen als Ganzes liegt. Feiern zwischen sterilen Büroräumen, überteuerten Markthallen und Hochglanzfassaden, das passt nicht zusammen und vor allem nicht nach Friedrichshain!

Die letzten zwei Jahre haben uns gezeigt, dass noch mehr innerstädtische kapitalorientierte Gewerbeflächen nicht den aktuellen Bedürfnissen entsprechen und insbesondere Bürokomplexe ein überholtes Konzept sind. Stattdessen werden Nicht-Kommerzielle, frei zugängige Orte, Räume für Kreative, (Frei-) Flächen für Kinder und Jugendliche und bezahlbare Wohnungen dringendst benötigt. Soziokulturellen Orten wie dem RAW-Gelände kommen aktuell eine ganz besondere Bedeutung zu, nachdem wir alle aufgrund der Corona Pandemie auf gemeinsame kulturelle Erlebnisse verzichtet haben und Kulturschaffende um ihr Fortbestehen gebangt haben und noch immer bangen müssen.

Wir lassen uns nicht erpressen!

Den heutigen Nutzer*innen im sogenannten „soziokulturellen L“ auf dem RAW Gelände würde bei einer Bebauung mit einem Hochhaus ein Nutzungsrecht von 30 Jahren eingeräumt werden. Das ist aus zwei Gründen nicht ausreichend: Zum einen gibt es den Nutzer*innen über die 30 Jahre hinaus keine Sicherheit. Soziokulturelle Einrichtungen werden aber für immer gebraucht, und nicht nur für eine Generation! Zum anderen ist höchst fraglich, inwiefern die Nutzer*innen noch auf die gleiche Weise arbeiten und Publikum ansprechen können, wenn sie umgeben sind von noch mehr kapitalorientierten Gewerben, von Reiche-Leute-Läden, und das neben dem Amazontower, der East-Side-Mall und dem Mercedes-Benz-Platz. Es kann nicht erwartet werden, dass der Charakter des RAW-Geländes und die bestehenden Freiräume mit einer so massiven, nicht-sozialen Bebauung erhalten bleiben Konkret bedeutet das, dass kulturelle Institutionen, wie beispielsweise 

der sonntägige Flohmarkt, in einer grauen Bürowüste ihre Attraktivität verlieren und nicht überleben können. Das Nutzungsrecht ist somit keine Option, die den Charakter und die Freiräume des RAW-Geländes langfristig sichern kann. Da die Mieter*innen des RAW-Geländes jederzeit von der Kurth-Gruppe gekündigt werden können, stehen sie unter massivem Druck, den Vorschlägen der Kurth-Gruppe zuzustimmen. So sieht keine faire Anwohnenden- und Mieter*innenbeteiligung aus.

Die Diskussion ums RAW-Gelände ist symptomatisch für ein grundlegendes Problem in Berlin: Gemeinnützige Einrichtungen, soziale Projekte und Kultur sind profitorientierten Spekulant*innen und Eigentümer*innen fast schutzlos ausgesetzt. Sobald ein Grundstück einem profitorientierten Unternehmen gehört, sind gesellschaftliche, kulturelle und soziale Belange zweitrangig. Auch unsere Rechtsordnung gibt hier privaten Eigentümer*innen zu viel Macht: So können die privaten Eigentümer*innen nach § 34 des Baugesetzbuches schon jetzt das RAW-Gelände bebauen, ohne, dass dafür die Zustimmung staatlicher Institutionen notwendig wäre. Auch können die bestehenden Mietverträge gekündigt oder die Mieten erhöht, und die ansässigen kulturellen und sozialen Einrichtungen so durch die Eigentümer*innen vertrieben werden. Um das RAW-Gelände zu schützen und ähnliche Vorhaben in Zukunft zu verhindern, sowie kulturelle und soziale Einrichtungen zu schützen, müssen Flächen in Berlin radikal kommunalisiert werden und der Profitorientierung entzogen werden. Auch hier müssen Vergesellschaftungen in Betracht gezogen werden. Das Gewerbemietrecht muss reformiert werden, um die Verdrängung von Gewerbemieter*innen zu verhindern. Im Baurecht dürfen kulturelle, soziale und Klimaschutzbelange nicht weiter zweitrangig zu Kapitalinteressen stehen.

Auch die BVV Friedrichshain-Kreuzberg darf sich nicht erpressen lassen. Der jetzige Planungsstand ist Ergebnis langer Verhandlungen, aber nur weil etwas lange gedauert hat und anstrengend war, heißt es nicht, dass es auch ausreichend ist. Soziokulturelle Räume müssen besser vor kapitalistischen Interessen geschützt werden. Manche Gebäude des RAW-Geländes sind schon jetzt Denkmalgeschützt, das RAW-Gelände muss als einmaliger immaterieller Kulturraum geschützt werden.

Die GRÜNE JUGEND Berlin fordert die BVV Friedrichshain-Kreuzberg und somit insbesondere Bündnis 90/Die Grünen Friedrichshain Kreuzberg auf, sich mit allen Mitteln

  1. gegen eine unsoziale, kapitalorientierte und massive Bebauung des RAW Geländes einzusetzen und diese zu verhindern

und

  • die bestehenden Freiräume, sozialen und kulturellen Einrichtungen und Nutzer*innen mit allen Mitteln zu schützen und deren Verdrängung zu stoppen.

Dafür müssen alle politischen Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, auch wenn diese in der Vergangenheit nicht zielführend erschienen. Insbesondere müssen die Möglichkeiten der Enteignung, Vergesellschaftung, des Denkmalschutzes und des Bauplanungs- und Bauordnungsrechtes geprüft und genutzt werden. Die GRÜNE JUGEND Berlin fordert das Abgeordnetenhaus und den Senat auf, die notwendigen finanziellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um eine Enteignung und potenzielle Entschädigungssummen zu zahlen. Solche Vorhaben sind vielleicht teuer, aber Soziokultur ist unbezahlbar.